Die Bestie II: Inselreigen #3
Malta, Januar 1929
- Angus Fergusson
- Despina von Bodenschwing
- Edward Watkins
Die Zeit drängt: Was wird in Pearl Beach passieren? Welche Gruppierungen haben welche Ziele? Gelingt es, sich unbemerkt unter die chinesischen Mittelsmänner zu schmuggeln? Und was hat das alles mit der Bestie zu tun?
San Francisco, Juni 1929
Wir versuchen in unserem neuen Hotel Ocean Breeze das spanische Pergament übersetzen zu lassen. Bedauerlicherweise scheitert diese Absicht am Aberglauben des Zimmermädchens, welches nach kurzem Überfliegen des Textes nur noch „El Diabolo!“ schreit und die Flucht ergreift. Lediglich zwei Informationen können wir gewinnen: Es scheint sich um eine Art Gebet zu handeln und es ist die Rede von Rhon-Paku. Diesen Namen hatten einige unserer Verbündeten in Indien bereits gehört.
Die Rhon-Paku Sekte unter der Führung des gleichnamigen Gurus betet angeblich für den „Transzendenten Weltfrieden“ und lockt insbesondere junge, enthusiastische Menschen an, die nach den Schrecken des Großen Krieges auf der Suche nach einem alternativen Lebensentwurf sind. Über die wahren Ziele dieser Sekte konnten aber Despina, Philip und Jeevan nicht wirklich etwas herausfinden.
Den chinesischen Zettel lässt Henry von einer Dame in Chinatown übersetzen. Es handelt sich dabei wie schon vermutet um eine Anleitung zur Herstellung eines bestimmten Räucherwerks, das hauptsächlich aus den mysteriösen blauen Kristallen hergestellt wird und hier „Blue John“ genannt wird. Dieses spezielle Räucherwerk soll dabei helfen, Tore für bestimmte Wesenheiten zu öffnen. Doch auch diesmal können wir von unserer Übersetzerin nichts Genaues erfahren, da das Geschriebene sie ähnlich wie das Zimmermädchen sehr zu verstören scheint.
Auf dem Rückweg schaffen wir es dann auch noch, eine detailliertere Übersetzung des spanischen Pergaments zu bekommen. Der erste Teil stellt eine Art Begrüßungsrede an die Glaubensgemeinschaft dar, der zweite Teil ist ein Ritual, welches die Gläubigen zusammen durchführen sollen.
Der Zettel mit den Adressen ist eine Übersicht aller Tempel der Sekte weltweit. Auch in San Francisco gibt es einen Ableger. Wir fahren mit dem Taxi dort vorbei und können einen Blick auf einen großen, offenen Platz werfen, um den rundherum die Gebäude für die Mitglieder stehen. Hier muss bereits ein Koffer mit Räucherwerk platziert worden sein.
In dem Ritual taucht immer wieder der Begriff „Dhole“ auf. Fanny hat eine überraschende Eingebung und erinnert sich, dass es sich dabei um große, überaus zerstörerische Wesen handelt. Der Plan scheint also wie folgt auszusehen: Zu einem bestimmten Datum sollen alle Mitglieder der Rhon-Paku-Sekte gleichzeitig dasselbe Ritual durchführen, welches durch das sonderbare Räucherwerk begleitet wird. Sollten alle 10 Tempel weltweit derartige Geschöpfe beschwören, wären die Folgen kaum auszudenken.
Wir überlegen, wie wir das Ritual verhindern können. Uns fehlt die Information, wann genau es stattfinden soll. Den einen Koffer, den wir bereits abgefangen haben, könnten wir manipulieren, so dass zumindest das Ritual in Mexiko City zum Scheitern verurteilt ist. Allerdings ist fraglich, ob das ausreicht.
Sollte genug Zeit bleiben, könnte man all unsere Verbündeten dahingehend instruieren, jeweils einen der Tempel zu infiltrieren, um dann den Koffer samt Räucherwerk und Ritualanleitung verschwinden zu lassen. Allerdings wäre das eine sehr gewagte und überaus schwierige Mission.
Wir haben bei einer der Chinesinnen in der Werkstatt einen Zettel mit dem Inhalt „Pearl Beach, 30.07.“ gefunden, und gehen davon aus, dass es sich dabei um den Ort der Kofferübergabe handelt. Fanny will ihre Verkleidungskünste einsetzen, um sich als Chinesin zu tarnen und den Koffer mit manipuliertem Inhalt zu übergeben. Da es uns an Alternativen mangelt, bereiten wir alles dahingehend vor. Fanny organisiert Ersatzräucherwerk und eine entsprechende Verkleidung.
Bevor wir weiterforschen, telegrafieren wir unseren Freunden und setzen sie von unseren Ermittlungsergebnissen in Kenntnis. Da wir nicht wissen, was uns in Pearl Beach erwartet, scheint es uns sinnvoll, sie über die Machenschaften der Sekte zu informieren.
Ich forsche nochmal in der Bibliothek und im Zeitungsarchiv nach Rhon-Paku und Pearl Beach und werde tatsächlich fündig.
Seit etwa 1919 verbreitet sich die Glaubensgemeinschaft unter Leitung ihres Gurus Rhon-Paku, der sehr zurückgezogen in seinem Haupttempel in Indien lebt. Sie proklamiert das Prinzip der brüderlichen Liebe, gepaart mit einem Schuss Okkultismus. Zu ihren konkreten Zielen oder aktuellen Mitgliederzahlen findet sich allerdings nicht. 1921 wurde der erste Tempel außerhalb Indiens in San Francisco gegründet. Die Mitglieder der Sekte sind in ihren Nachbarschaften gern gesehen, sie stören nicht und es gibt keinerlei wie auch immer gearteten Schlagzeilen zu ihnen.
Im Zeitungsarchiv stoße ich auf einen Artikel aus dem Jahr 1910, der von einem Bootsunglück berichtet. Ein Einsiedler namens Peter Baird hatte damals die Wrackteile gefunden, die wohl von der Yacht des Industriellen Alexander Chandler stammten. Chandler und seine Frau wurden nie gefunden und für tot erklärt. Wir sind alle sicher, dass es kein Zufall sein kann, dass die Eltern von Edward Chandler ausgerechnet vor diesem Strand den Tod fanden. Ihr Ableben ermöglichte es Baron Hauptmann, den jungen Edward zu sich zu holen. Wir sind mittlerweile davon überzeugt, dass der Baron Edward Chandler bereits übernommen hat.
Wir wechseln erneut das Hotel und ziehen ins Blue Flamingo, das diesmal von Fanny ausgesucht wurde. Dann fahren wir nach Pearl Beach, um das Gelände zu erkunden.
Es handelt sich um einen menschenleeren Strand, der von Klippen gesäumt wird. Wir finden sonderbare Fußspuren, die nicht von normalen Menschen stammen können, sondern aussehen, als haben die Personen Schwimmhäute. Das überrascht uns natürlich nicht mehr wirklich, nachdem wir die sonderbaren Arbeiter in der Werkstatt in Chinatown gesehen haben. Die Spuren führen vom Meer zu ein paar heruntergebrannten Lagerfeuerresten.
Ein oder zwei Meilen abseits vom Strand finden wir eine einsame Hütte, aus deren Schornstein Rauch quillt. Als wir uns der Hütte nähern, peitscht ein Schuss über unsere Köpfe hinweg. Ein bärtiger Mann mit sonnengegerbtem Gesicht brüllt uns zu dass wir verschwinden sollen. Ich kann ihn davon überzeugen, mich anzuhören und begleite den etwas heruntergekommenen Einsiedler in seine ebenfalls nicht gerade ordentliche Behausung. Über der Tür prangt ein sonderbares Gebilde aus Treibholz und anderen nicht näher zu bestimmenden Dingen, das wir ein Auge innerhalb eines Pentagramms aussieht. Im Inneren stapelt sich aller möglicher Tand, den der sein Großvater von seinen Seefahrten mitgebracht hat, wie mir der Einsiedler erzählt. Es handelt sich bei ihm wie schon vermutet um Peter Baird, der vor 19 Jahren die Wrackteile der Chandlers gefunden hat.
Er warnt mich eindringlich davor, den Strand zu betreten und den Chinesen, die sich dort herumtreiben würden, zu nahe zu kommen. Was genau dort am Strand vor sich geht, kann oder will er aber nicht sagen.
Auf das Bootsunglück der Chandlers angesprochen, beteuert Baird, dass das Boot nicht einfach an den Klippen zerschellt, sondern von irgendeinem riesigen Geschöpf glattweg durchgebissen worden sei. Die Wrackteile hätten keinen anderen Schluss zugelassen. Natürlich hatte damals niemand dem Gerede des Einsiedlers Glauben geschenkt, aber er beharrt auch jetzt noch darauf, dass es kein normales Unglück gewesen sein könne.
Ich kehre zu den anderen zurück und berichte ihnen. Wir fahren wieder ins Hotel und lesen in der Tageszeitung, dass ein Drogenlabor in Chinatown ausgehoben worden ist. Zumindest ist die Polizei also auf unseren Hinweis hin tätig geworden.
Ich entsorge die blauen Kristalle noch bis auf einen, den ich gerne näher untersuchen will. Bis jetzt haben wir keine Idee, um was genau es sich dabei handeln könnte.
Am Morgen des 30. Juli fahren wir noch einmal zum Tempel der Sekte. Wir werden von den Jüngern sehr herzlich aufgenommen und ehe wir uns versehen, sind wir der Glaubensgemeinschaft beigetreten!
Henry schafft es noch, sich abzusetzen, aber Fanny und ich finden uns plötzlich in kaftanartigen Gewändern wieder und werden von den anderen Anhängern belagert. Immerhin erfahren wir, dass ein „Heiliger Tag“ am 22. September geplant ist, an dem alle Mitglieder weltweit teilnehmen werden. Somit kennen wir nun das Datum für die Durchführung des Rituals.
Nachdem wir aber einige Stunden den langatmigen Ausführungen zum transzendenten Weltfrieden lauschen mussten, ergreifen auch wir schließlich die Flucht, begleitet von den enttäuschten Rufen der Sektenanhänger.
Fanny verkleidet sich und mit dem manipulierten Koffer fahren wir erneut nach Pearl Beach. Wir errichten ein Lagerfeuer, Henry und ich verstecken uns auf den Klippen und Fanny setzt sich mit dem Koffer an den Strand.
Wir müssen nicht lange warten. Aber zu unserer Überraschung kommt nicht nur ein einfacher Kurier, sondern es halten gleich zwei Lastwagen, voll besetzt mit Chinesen, und eine schwarze Limousine auf den Strand zu. Ich kann Fanny gerade noch bedeuten, sich zu verstecken, so dass sie außer Sichtweite flüchtet, bevor die Männer den Strand betreten.
Sie errichten zwei weitere Feuer und holen dann Musikinstrumente hervor. Aus der schwarzen Limousine steigen zwei Chinesinnen aus sowie ein alter Mann, der in einen grünen, mit goldenen Symbolen bestickten Mantel des Lebens gekleidet ist. Dieser Mantel wird den Eltern von den Kindern geschenkt und soll ihnen – wie der Name schon impliziert – ein langes Leben bescheren. Zweifelsohne ist dieser spezielle Mantel extrem effektiv, da es sich bei dem alten Mann um Lang Fu handelt, der bereits im 12. Jahrhundert gelebt hat.
Lang Fu trägt einen Gummikoffer sowie ein Tongefäß, mit dem er sich nun dem mittleren Lagerfeuer nähert. Seine beiden Leibwächterinnen gehören den fehlenden kleinen Fingern nach zu urteilen zu einer chinesischen Unterweltorganisation, was zu der Geschichte passen würde, nach der Lang Fus Gemeinschaft später in den Triaden aufging.
Sie holen ein zappelndes Bündel aus dem Kofferraum und tragen es zum Strand. Lang Fu holt aus dem Koffer ein altes Buch hervor und beginnt, daraus vorzulesen. Nach kurzer Zeit entsteigen dem Meer vier Schemen, die nur noch entfernt an Menschen erinnern. Sie sind sehr blass, ihr Gang ist eher tierähnlich und ihre Gesichter sind bis zur Unkenntlichkeit aufgequollen. Sie zerren eine schreiende Frau aus der Decke und schleppen sie mit sich zurück ins Meer. Einer der Männer aus den Lastwagen, der ebenfalls nur noch wenig von einem Menschen hat, folgt ihnen.
Uns wird bewusst, dass Fanny wohl nur äußerst knapp einem sehr unangenehmen Schicksal entgangen ist. Wir wissen nicht wirklich, was diese Fischkreaturen mit der armen Frau machen werden, aber wir haben eine ungute Ahnung.
Die übrigen Chinesen spielen ihre Instrumente weiter und Lang Fu holt etwas aus dem Tongefäß hervor, das er über das Feuer hält. Ich fühle mich stark an die Séance mit Paul LeMond erinnert, die er im Tannerhill House abgehalten hat. Hierfür war ein persönlicher Gegenstand des Verstorbenen nötig, um diesen zu rufen. Und tatsächlich geht in dem alten Chinesen eine Veränderung vor. Plötzlich scheint es, als würde eine weitere Person durch ihn sprechen.
Handelt es sich bei dem Tongefäß um den fehlenden Kanopenkrug aus Nofru-Kas Grab? Martha hatte mir berichtet, dass nur drei Gefäße im Grab gefunden worden waren. Der Krug war vermutlich bereits vor 30 Jahren entfernt worden, weshalb nimmt Lang Fu ausgerechnet jetzt Kontakt zu Nofru-Ka auf?
Lang Fu ruft immer wieder „Hydra“ , bis das Wasser zu brodeln beginnt und eine riesige Kreatur aus dem Meer steigt. Sie wirkt wie eine große Ausgabe der mutierten Wesen, die zuvor an den Strand gekommen waren. Lang Fu bzw. die Person die durch ihn spricht, scheint mit dem Wesen zu kommunizieren, wir hören ein „Gizeh“, das wie ein Befehl wirkt. Dann besteigt Lang Fu den Rücken des Geschöpfs, das mit ihm hinaus aufs Meer schwimmt.
Die übrigen Chinesen beenden ihre sonderbare Musik, sammeln sich und fahren in den Lastwagen wieder ab. Auch die beiden Leibwächterinnen steigen in die Limousine und fahren fort.
Lang Fu befindet sich nun also vermutlich auf dem Weg nach Gizeh in Ägypten. Aber zu welchem Zweck? In Afrika gibt es keinen einzigen Rhon-Paku-Tempel. Wir werden ihm wohl oder übel folgen müssen, u mes herauszufinden. Aber zunächst wird vermutlich die Vereitelung des Rituals durch die Rhon-Paku-Jünger Priorität haben.
-- Molybdaen