Die Bestie I: Der Träumer #1
Alpträume
Juni/Juli 1928Ca. 1 Jahr nach der Séance im Tannerhill House wurde unsere damalige Gruppe…
Showdown in Ägypten! Werden die Investigatoren ihre körperliche Unversehrtheit wiedererlangen? Kann das mysteriöse Ritual um den alten Ptah-Priester verhindert werden? Welche Rolle spielt ihr neuer Begleiter, der sich so wortkarg gibt, wirklich?
Aufzeichnungen von Martha Greenwood, Alexandria, Dezember 1928.
Vor unserer langen Fahrt zur Ausgrabungsstätte decken wir uns mit Vorräten und Waffen ein. Die Zugfahrt nach Abu Simbel wird voraussichtlich mindestens 13 Stunden dauern, wenn alles gut geht. Arthur und Isaac werden nicht mit uns kommen. Sie haben zwar angeboten, uns zu unterstützen, aber wir wollen sie nicht unnötig in Gefahr bringen. Denn wir alle wissen: Unsere Mission ist ein Himmelfahrtskommando. Despina, ihr Bediensteter, Arthur und ich haben nichts mehr zu verlieren.
Lediglich Sinan bin Umar wird uns begleiten, was eine wertvolle Hilfe ist, da der Mann hervorragend kämpfen kann und sich im Land gut auskennt. Allerdings bewegt mich auch die Frage, was er bereit zu tun wäre, sollten wir das Ritual nicht rechtzeitig verhindern können. Würde er uns töten, um die Erweckung des Ptah-Priesters zu verhindern? Dessen bin ich mir fast sicher. Ich werde ein Auge auf ihn haben.
Wir besteigen am Morgen den ersten Zug und treten so unsere Reise mit ungewissem Ausgang an. Sinan entpuppt sich wie erwartet als recht wortkarg, ich kann ihm kaum Einzelheiten aus seinem sicherlich bewegten Leben entlocken. Er ist auf jeden Fall sehr viel älter, als es für einen Menschen möglich ist.
So vergeht Stunde um Stunde, bis wir schließlich in Luxor ankommen, einem Zwischenhalt. Doch hier beginnen bereits die Schwierigkeiten. Scheinbar wurden die Gleise beschädigt und der Zug wird nicht weiterfahren, wir müssen uns ein anderes Transportmittel suchen.
Glücklicherweise liegt die Strecke am Fluss, so dass Sinan mithilfe eines ordentlichen Bakschischs ein paar Fischer dazu überreden kann, uns auf dem Wasserweg nach Abu Simbel zu bringen. So geht die Reise weiter und auch wenn das Boot recht unbequem ist und einen strengen Fischgeruch verströmt, entschädigt uns der fantastische Blick auf den ägyptischen Nachthimmel.
Doch auch hier ist uns keine Ruhe vergönnt. Plötzlich vernehmen wir ein Geräusch, das nach Flügelschlag klingt – und es nähert sich unserem Boot!
In der Dunkelheit ist erst nichts zu erkennen, aber dann rauscht ein großer Schatten an uns vorbei, dessen Schwingen das Wasser streifen und es zu beiden Seiten aufspritzen lassen. Es fliegt vorbei und wir löschen hastig die kleine Laterne am Bug, aber es ist zu spät.
Aus dem Wasser neben unserem Boot erhebt sich ein großes, wurmartiges Geschöpf mit gigantischen Flügeln. Der Geflügelte Schrecken! Wir sind wie gelähmt, die beiden Fischer fliehen schreiend über Bord. Sinan raunt uns zu, dass wir stets daran denken sollen, dass unsere Feinde uns lebend benötigen. Das Wesen will uns also nicht töten, sondern nur aufhalten.
Ich erinnere mich an das Pulver des Süleyman und nehme es hastig aus meinem Rucksack. Das Geschöpf verharrt derweil im Wasser, aber sein tentakelartiger, langer Schwanz tastet nach dem Bootsmast und umwickelt ihn. Sollte der Mast brechen, kämen wir niemals rechtzeitig an!
Philip hackt mit seinem Messer nach dem Schwanz und ich werfe das Pulver. Das Wesen gibt ein schmerzerfülltes Brüllen von sich und lässt tatsächlich vom Boot ab. Dann schwingt es sich in die Lüfte und verschwindet in der Nacht, wir haben gesiegt!
Leider fehlt von den beiden Fischern jede Spur. In dem pechschwarzen Wasser können wir sie nicht mehr finden und nur hoffen, dass sie sich ans Ufer retten konnten. Ich übernehme trotz des vehementen Protestes von Despina das Steuer und die Fahrt geht weiter.
Nach einer langen Fahrt, die die ganze Nacht und den darauffolgenden Tag dauert, erheben sich schließlich in der Ferne vor uns die Ehrfurcht gebietenden Silhouetten von Abu Simbel. Was für ein Meisterwerk die alten Ägypter hier aus dem kargen Stein gehauen haben! Die beeindruckenden Statuen, die Pharao Ramses in Auftrag gegeben hatte, um sich und seiner Familie ein Denkmal für die Ewigkeit zu setzen, haben auch nach all den Jahrtausenden nichts von ihrer majestätischen Anmutung verloren. Mir blutet das Herz, dass ich nicht länger verweilen kann, um den Tempel zu untersuchen. Aber ich schwöre mir, dass ich zurückkehren werde.
Wir gehen ein paar Kilometer vor dem Tempel an Land und bewegen uns im Schutz der Uferböschung weiter. Die Nacht bricht bereits an und es ist Eile geboten. Wie sich herausstellt, ist unsere Vorsicht unnötig, denn außer ein paar verlassenen Fahrzeugen und der Elefantenbüchse von Colonel Cotton, die Despina natürlich mitnimmt, finden wir vor dem Tempel nichts. Alle Lakaien der schwarzen Priesterin scheinen bereits im Tempel zu sein. Philip greift sich eine Spitzhacke und ich nehme eine Schaufel.
Bevor wir den Tempel der Göttin Hathor betreten, sagt uns Sinan noch, wie wir mit ihm in Kontakt treten können, sollten wir getrennt werden. Der Dichter Constantin Catheby stehe mit der Bruderschaft des Wahren Schwertes in Verbindung und könne Nachrichten an Sinan übermitteln. Er würde uns auch helfen, das Land zu verlassen, sollte Sinan uns nicht begleiten können.
Dann machen wir uns auf ins Tempelinnere, um die Geschichte zu beenden.
Wir folgen einem Korridor, der in eine dunkle Kammer mündet. Am hinteren Ende steht eine abgedeckte Laterne als einzige Lichtquelle. Wir teilen uns auf und tasten uns an der Wand weiter. Plötzlich sind aus der Kammer mit der Laterne Stimmen zu vernehmen und es wird heller. Ein Mann durchquert die Halle und Despina überlegt kurz, ob sie ihn verfolgen soll. Wir verlassen uns schließlich auf Sinan und Philip tastet sich in die Kammer vor. Dort hockt neben einem Schacht, aus dem eine Leiter ragt, ein zweiter Mann am Boden, den Philip mit seiner Spitzhacke attackiert. Doch leider weicht der Mann überraschend aus und als ich Philip zu Hilfe eilen will, fange ich mir eine schallende Ohrfeige ein. Das fängt ja gut an.
Erst Despina kann den Mann niederschießen, damit ist es aber vermutlich auch vorbei mit der Heimlichkeit. Sinan taucht aus der Dunkelheit auf und wischt seinen blutbefleckten Säbel ab. Der Mann, der die Halle verlassen hat, ist nicht sehr weit gekommen.
Mit blutender Lippe und wütend über meine Ungeschicktheit klettere ich als Erste die Leiter hinunter, die in einem niedrigen Korridor endet. Es ist nichts zu sehen oder zu hören und wir tasten uns weiter.
Nach kurzer Zeit erreichen wir eine Kreuzung. Kurz flackert Panik in mir auf, denn wir haben keine Zeit, alle Gänge zu durchsuchen! Dann fällt mir wieder das Pergament mit dem Ritual zur Ptah-Priester-Erweckung ein. Hier muss es doch einen Hinweis geben. Und tatsächlich: „Die vier Söhne weisen nichtsahnend den Weg“! Damit sind die Söhne des Horus gemeint, die jeweils einer Himmelsrichtung zugeordnet sind. Oben auf dem Pergament waren sie scheinbar willkürlich mehrmals hintereinander abgebildet in einer für uns zunächst sinnlos erscheinenden Reihenfolge. Despina hatte in weiser Voraussicht Kompasse organisiert und die kommen uns jetzt gerade recht! Als erster Sohn ist Hapi abgebildet, der für den Norden steht, also folgen wir dem Weg in nördlicher Richtung. Und so geht es weiter durch das Labyrinth.
Dass wir auf dem richtigen Weg sind, zeigt uns ein dickes Stromkabel, welches vermutlich für die Beleuchtung der Grabkammer verlegt wurde.
Schließlich gelangen wir in eine Kammer, in der vier Gestalten reglos verharren. Sie haben Pavianköpfe und ich bin zunächst sicher, dass sie nicht feindlich gesonnen sein können. Doch damit liege ich falsch. Sinan zückt sofort seinen Säbel und auch wir rüsten uns für den Angriff. Despina erleidet bei dem Anblick einen Schock und fällt in Ohnmacht, ich bemühe mich verzweifelt, sie zu wecken, ist sie doch unsere beste Schützin.
Eines der Geschöpfe trifft mich und ich schieße, aber es weicht keinen Zentimeter zurück. Philip gelingt es, zwei der schwerfälligen Wesen zumindest zu Fall zu bringen und Sinan kann eines recht schnell unschädlich machen. Nach einem harten Kampf gewinnen wir doch noch die Oberhand und auch Despina kommt wieder zu Bewusstsein.
Dann geht es weiter, wir erreichen die Grabkammer. Treppenstufen führen in die Kammer hinunter, dort stehen vier Kohlebecken, die einen süßlichen Gestank verströmen, daneben jeweils ein Mann, der einen Kanopenkrug trägt. Vier weitere Männer stehen daneben, sie sind in eine Art Singsang vertieft. Das Ritual ist bereits in vollem Gange. Am rechten Ende der Kammer liegt auf einem Altar die Mumie von Sa-Ptah aufgebahrt, daneben steht Oluwa-Sey in prächtige Gewänder gehüllt. Neben ihr steht der mysteriöse Mann, welcher uns im Restaurant betäubt und die Organe gestohlen hat. Vor Oluwa kniet Colonel Cotton.
Doch was mir am meisten Sorgen macht, sind die vier steinernen Geschöpfe am linken Ende. Es handelt sich um Statuen der vier Söhne des Horus. Aber ihre Köpfe sind allesamt obszöne Zerrbilder, aus denen Tentakel und Hörner sprießen, grässlich anzusehen.
Noch hat man uns nicht entdeckt, das müssen wir nutzen. Despina und ich zielen auf Oluwa-Sey, Despinas Boy nimmt den Mann neben ihr ins Visier. Sinan schleicht die Treppen hinunter. Doch sowohl Despina als auch ich verfehlen Oluwa, die hinter dem Altar in Deckung geht. Boy kann zumindest den Mann neben ihr erschießen.
Nun bricht die Hölle los. Sinan greift die Männer an den Kohlebecken an, die Kanopenträger verharren und ich hoffe, dass niemand seinen Krug fallen lässt. Auch Philip stürzt sich in den Kampf und ich versuche noch einmal, Oluwa zu treffen, jedoch ohne Erfolg.
Jetzt regen sich die unheimlichen Statuen mit einem Geräusch, als ob Fels aneinander reibt, was vermutlich auch der Fall ist. Uns bleibt nicht viel Zeit, bis die Kreaturen sich vollends aus dem Stein gelöst haben werden!
Ich erinnere mich, dass für die Durchführung des Rituals auch das Herz des Colonels benötigt wird, der sich nicht bewegt hat. Ohne zu zögern schieße ich den Mann nieder, es ist so oder so nicht schade um diesen Ignoranten. Diesmal treffe ich, Cotton sackt in sich zusammen.
Despina scheint derweil von einem mentalen Angriff Oluwas getroffen worden zu sein. Wir müssen die Priesterin ausschalten, wenn wir hier lebend rauskommen wollen. Ich stürze also durch die Kammer und versuche sie zu treffen. Doch Oluwa ist schnell und ich verfehle sie. Dann stürzt sie sich auf mich, ich sehe es noch in ihrer Hand aufblitzen und verspüre einen brennenden Schmerz in der linken Brust, dann wird es schwarz um mich.
Da ich jetzt diese Zeilen schreiben kann, dürfte klar sein, dass ich an jenem Tag in der Grabkammer unter dem Hathor-Tempel nicht den Tod gefunden habe. Auch wenn ich in dem Moment, da Oluwas Dolch mich traf, durchaus mit dem Leben abgeschlossen hatte.
Was geschah, nachdem ich das Bewusstsein verlor, haben mir meine Gefährten später berichtet:
Just nach ihrem Angriff gegen mich verliert Oluwa das Gleichgewicht und stürzt. Damit ist auch ihr mentaler Einfluss auf die Kanopenträger durchbrochen, zwei der Männer lassen die Krüge fallen und fliehen. Einer der beiden Krüge zerbricht auf dem Boden, Boy haucht in derselben Sekunde sein Leben aus. Despina verliert völlig den Verstand, als sie ihren Schutzbefohlenen sterben sieht und stürzt sich auf den konsternierten Philip, der zu Boden geht. Sie scheint in dem Moment zu glauben, dass Boys Tod Philips Verschulden sei. Es gelingt Philip trotz des überraschenden Angriffs, der ebenfalls am Boden liegenden Oluwa seine Spitzhacke in den Kopf zu stoßen, und sie stirbt.
Doch damit ist die Gefahr nicht gebannt. Die vier Statuen haben sich fast aus dem Fels gelöst und es bleibt nur die Chance einer schnellen Flucht. Philip schleppt mich Richtung Ausgang und nimmt auf dem Weg noch einen Kanopenkrug mit, Sinan greift sich die zwei verbliebenen Krüge und so hetzen wir durch das Labyrinth zurück. Hinter uns wird das Knirschen immer lauter, der Rückweg wird zu einem Wettlauf mit der Zeit. Ich erlange das Bewusstsein wieder und kann Philip das Pergament geben, so dass wir den Weg aus dem Tempel finden.
Draußen angekommen klettern wir in eines der Fahrzeuge vor dem Tempel und fahren in die nächtliche Wüste, um dort das Ritual rückgängig zu machen. Sinan hält Wort und wir erhalten alle unsere Organe zurück. Der Prozess ist zwar schmerzhaft und wir erbrechen widerliche weiße Flüssigkeit, aber wir haben überlebt!
-- Molybdaen